Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman by Bastei Lübbe

Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman by Bastei Lübbe

Autor:Bastei Lübbe
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Bastei Lübbe


Die Sonne stand höher in den Eichenästen, als Raymond am Pfarrhaus eintraf. Sein alter Chevy klapperte und knirschte. Der Unfall vor Florence’ Haus hatte seine Spuren hinterlassen. Aber es war noch zu früh, die Werkstätten hatten noch nicht geöffnet. Solange der Wagen noch lief, blieb ihm nichts anderes übrig, als ihn zu benutzen.

Er ging gleich ums Haus herum, vorbei am Garten und zu der Eiche, von der er Rosa Hebert geschnitten hatte. Ihm zog sich alles zusammen, als er den in ein weißes Laken gehüllten Leichnam sah, der an einem riesigen, geschwungenen Ast baumelte. Der Leichnam war zu klein für einen Erwachsenen, konnte aber gut und gern der einer Vierjährigen sein.

Er sah sich um, vom Priester fehlte jede Spur. Erst dann bemerkte er im Fenster des Hauses eine schwarz gekleidete Gestalt. Genau wie beim letzten Mal, als Finley angerufen hatte, um Rosa Heberts Selbstmord zu melden. Damals war der Priester im Haus geblieben, während Raymond und der Coroner ihrer Pflicht nachkamen.

Langsam ging Raymond auf den Baum zu. Er hatte keine andere Wahl, er musste das Laken anheben, um zu sehen, was darunter war. Er hörte das Knarren des Stricks, als der Wind am Leichnam zerrte. Mit tauben Fingern griff er nach dem Laken.

»Großer Gott«, sagte er und ließ es wieder los. Er drehte sich um und atmete durch. Unter dem Laken befanden sich die Überreste von Kyle Fentons Vogelscheuche. Er ging zum Baumstamm und musste sich setzen. Eine Vogelscheuche, Hemd und Hosen, mit Stroh ausgestopft und an ein Holzkreuz genagelt.

Als er aufsah, kam ein kreidebleicher Finley auf ihn zu. »Wer ist es?«, fragte er und blieb in einer Entfernung von fünf Metern stehen.

»Nicht wer, was. Es ist Kyle Fentons Vogelscheuche.«

Erleichterung spiegelte sich in der Miene des Priesters, die aber schnell von Verärgerung und schließlich von unverhohlenem Zorn abgelöst wurde. »Welcher kleine Dreckskerl spielt mir so einen Streich?« Er ging zum Strick, der um den Stamm gebunden war, und begann daran zu zerren. »Welcher abscheuliche kleine Dreckskerl macht so was?«

Raymond erhob sich, ging zum Priester und umklammerte dessen Hände, die bereits vom Strick und der rauen Rinde aufgerissen waren. »Schon gut. Schon gut.« Der Priester rang nach Luft.

»Wer macht so was?« Vater Michael sah zu Raymond, als hätte er wirklich eine Antwort darauf parat.

»Ich weiß es nicht. Gedankenlose Kinder.« Er löste den Strick und ließ die Vogelscheuche herunter. »Ich werde Pinkney herschicken, damit er aufräumt.«

»Ich dachte, es wäre Rosa.« Die Knie des Priesters gaben nach, er ließ sich auf die Wurzel nieder, die Raymond soeben verlassen hatte, und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich hab sie im Stich gelassen, Raymond. Ich hab nicht mehr an sie geglaubt, und dann hat sie sich erhängt.«

Raymond hielt den Strick in Händen und wusste nicht, was er sonst tun sollte. Der Priester tat ihm leid, ein Mann, der genau wie er von einer der Hebert-Schwestern verfolgt wurde.



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